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JOHANN UND DER GEIST

4. 6. 2021
In der reichen und berühmten Stadt Joachimsthal lebte einst der wohlhabende Kaufmann Johann glücklich und zufrieden mit seiner Frau. Die Geschäfte liefen gut und es schien, dass nichts sein Leben verderben konnte. Aber weil das Unglück nicht den Bergen, sondern den Menschen folgt, ist es auch Johann passiert. Nach kurzer Krankheit starb seine Frau. Lange Zeit wandelte Johann als Körper ohne Seele. Lange Zeit versuchte eine Frau aus der Nachbarschaft, ihm zu gefallen, und nach einer Weile hörte Johann auf, dem neuen Gefühl zu widerstehen. Er begann sogar über eine Heirat nachzudenken.
 
Aber ach. Zur gleichen Zeit begann ein Gespenst im Haus zu erscheinen, immer mittags und um Mitternacht, das im ganzen Haus herumschwirrte, Möbel hin und her bewegte und einen schrecklichen Lärm machte. Johann konnte mittags nicht arbeiten und nachts nicht schlafen. Allmählich liefen ihm die Bediensteten davon und auch die Kunden wurden weniger. Wer würde mit einem Mann Geschäfte machen wollen, dessen Haus in Aufruhr war? Nur Gott weiß, was Johann getan hat, um so bestraft zu werden. Johann schmachtete vor Müdigkeit des Körpers und Gedanken des Geistes. Ständig beschäftigte ihn die Frage, was er wem angetan hatte und warum die Erscheinung sein Haus ausgewählt hatte.
 
Schließlich ging er in seiner Verzweiflung zum Pastor und erzählte ihm sein Problem. Er bat ihn um Hilfe, aber er verteidigte sich und sagte, er wisse nicht, wie er Johann aus seinem Elend befreien könne. Endlich ließ er sich durch die ernsten Bitten des verzweifelten Johann erweichen und versprach, am nächsten Tag zu ihm zu kommen. Noch vor Mittag trat er über die Schwelle, und als die Glocke begann, Mittag zu schlagen, sah er mit Erstaunen und Verwunderung zu, wie sich die Möbel in Bewegung setzten und im ganzen Haus ein Geschrei und ein seltsames Poltern zu hören war, als ob ein Regiment von Soldaten die Treppe hinaufmarschierte. Aber trotz alledem hatte nichts und niemand die geringste Verletzung erlitten. Als der Pastor darauf hinwies, versicherte Johann ihm, dass nie ein Schaden entstanden sei.
 
Der Pastor nahm schließlich seinen Mut zusammen und schrie aus Leibeskräften, das Phantom solle sich beruhigen und offenbaren, wer er sei und warum er dies tue. Kaum hatte er zu Ende gesprochen, materialisierte sich eine gespenstische Gestalt in einem Leichentuch vor den beiden Männern. Johann erkannte in ihr bald mit Erstaunen seine geliebte verstorbene Frau. Sie stand in einer Lichtwolke vor ihnen und beobachtete Johann mit Traurigkeit in den Augen. Der Priester fragte noch einmal, warum sie Johann etwas angetan habe. Warum sie ihn verfolgte und seinem Geschäft und seiner Gesundheit schadete. Das Phantom erklärte mit schmerzhafter Stimme, dass es seine Liebe zu Johann war, die ihn in dieser Welt hielt, und seine Angst um seine Zukunft, die ihn daran hinderte, in Frieden zu ruhen. Dass ihre Liebe die Kette ist, die ihre Seele fest an das Haus bindet, in dem Johann lebt. Der Pastor begann, mit dem Geist zu sprechen, wies auch auf die Verlockung des Teufels hin und versuchte, den Geist mit dem Wort Gottes zu entlassen. Aber der Geist wiederholte nur, dass es Liebe und Fürsorge war, die ihn an seinem Platz hielt. Der Priester wies auch darauf hin, dass Liebe und Fürsorge auch auf andere Weise gezeigt werden können und erwähnte schließlich Johanns bevorstehende Hochzeit mit einer neuen Frau.
 
Daraufhin brach das Phantom in Tränen aus, die sich in eine Dampfwolke verwandelten, bevor sie den Boden erreichten. Der Geist offenbarte Johann, dass seine zukünftige Frau ein böser und verdorbener Mensch war. Sie ist nur an Johanns Reichtum interessiert und hat bereits mit einem in der Nähe der Stadt lebenden Schurken vereinbart, dass sie Johann nach der Hochzeit ermorden und den Reichtum teilen werden. Dann löste sich das Phantom, mit seinem liebevollen Blick auf Johann fixiert, langsam auf.
 
Johann lief sofort zum Kommandanten der Stadtwache. Dieser glaubte ihm nicht, aber als der Pastor ihm dasselbe erzählte und beide alles auf die Schrift schworen, rief er seine Männer zusammen und schickte sie zu dem Ort, wo sich der Räuber verstecken sollte. Da sie nicht damit rechneten, dass sein Versteck entdeckt werden würde, konnten die Soldaten ihn leicht überraschen und gefangen nehmen. In der Stadt wurde er der Hinrichtung ausgeliefert und gestand bald den geplanten Mord an Johann. Er hatte sogar schon eine Kaution erhalten. Die Frau wurde ebenfalls verhaftet und gestand auch, was sie vorhatte.
 
Zu Hause wartete Johann derweil gespannt auf Mitternacht. Genau um Mitternacht durchflutete ein helles Licht den Raum und eine Gestalt stand in der Mitte des Raumes. Es war die Frau von Johann, die zur Ruhe gekommen war und sich von ihrem Geliebten verabschieden wollte. Als das Licht schwächer wurde und das Licht selbst verblasste, sah Johann einen kleinen Haufen Asche auf dem Boden. Diese sammelte er sorgfältig auf und ließ sie am nächsten Morgen in das Grab seiner Frau legen. Seitdem war das Gespenst nicht mehr erschienen, und auch Johann hatte seinen Frieden gefunden. Auch die Menschen kehrten in den Laden zurück, nachdem sich herumgesprochen hatte, was die Ursache für die unheimlichen Ereignisse war.