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DIE WEISSE DAME VOM SILBERBERG

4. 6. 2021
Einmal konnte eine Stadtbewohnerin aus Joachimsthal nachts nicht schlafen. Sie wanderte durch ein ruhiges Haus und schaute zufällig aus dem Fenster. Was sie sah, war wie ein Zauberspruch. Die Lichter auf dem Silver Hill leuchten wie die Fenster eines Schlosses. Und doch haben dort nur die armen Bergleute ihre Hütten, die sich um die Schächte scharen, die ihnen und der Stadt den Lebensunterhalt sichern. Warum so viel Licht? Die Frage hatte sie wachgehalten, und sie hatte den ganzen Tag darüber gegrübelt. Sie lauschte diskret den Bediensteten und anderen in der Stadt, aber niemand sonst schien das Licht zu sehen. Sie schlief nachts absichtlich nicht ein und schaute über den verdunkelten Silberhügel hinaus. Plötzlich, wie aus dem Nichts, schoss ein silbernes Licht hervor. Sie versuchte, sich die genaue Stelle zu merken, an der das Licht erschienen war, und am Morgen, sobald es hell war, eilte sie dorthin, vorbei an den Hütten der Bergleute, in den dichten Wald. Sie kam zu einer kleinen Lichtung, wo vielleicht einmal ein Köhler gearbeitet hatte. Aber es gab keine Spur von ihm. Die Dame suchte nach einer Stelle, woher das Licht kommen könnte, aber vergeblich. Keine Spur von Feuer, keine Öffnung in die Tiefe der Erde, nichts. Nur das Gras war merkwürdigerweise abgefallen. In der Nacht beobachtete die Frau jedoch wieder das Licht. So betete sie zur Heiligen Barbara, zur Heiligen Katharina und zur Jungfrau Maria und machte sich - diesmal im Dunkeln - auf den Weg in den Wald.
 
Die Lichtung glühte silbern, und sie glaubte, einen leisen Gesang zu hören. Das Seltsame war, dass die ganze Lichtung mit Leinen bedeckt war. Das Tuch schien mit Silber zu glühen und darüber hinaus mit Mondlicht und Sternen. Plötzlich war ihr Herz von einer Sehnsucht nach so vielen Ellenbogen des fremden Stoffes besessen. Schon stand sie auf, um das Tuch zu nehmen. Aber eine kleine Stimme hielt sie auf. Sie lauschte auf ein Flüstern, das kaum stärker war als der Wind. Die Stimme forderte sie auf, nicht zu geizen. Um nur ein kleines Stück zu nehmen. Und nun flüsterte eine andere Stimme in ihr anderes Ohr. Wenn sie die Leinwand berührt, soll sie in die Stadt fliehen. Aber lass sie um ihr Leben rennen.
 
Die Frau tat genau das, was ihr geraten wurde. Obwohl ihre Augen voller silbernem Glitzern waren, schnappte sie sich den nächstgelegenen Streifen Segeltuch und war weg. Und sie rannte um ihr Leben. Sie rannte wirklich um ihr Leben. Denn kaum hatten ihre Finger den Stoff berührt, ertönte ein hoher Schrei. Obwohl der Himmel wolkenlos war, gab es ein Donnern, als ob der Teufel selbst auf die Erde geschlagen hätte. Ein heftiger Wind kam mit furchtbarem Gebrüll und beugte die Bäume fast bis zum Boden. Die Frau rannte so schnell, dass sie fast den Boden nicht berührte. Nur einmal schien jemand das Tuch in ihrer Hand zu erwischen. Sie flog förmlich aus dem Wald und rannte auf Joachimsthal zu. Sie kam an eine Weggabelung und kaum hatte sie den Boden jenseits der Kreuzung berührt, war alles still.
 
Sie blieb stehen und drehte sich langsam zum Wald zurück. Dort zwischen den Bäumen stand eine ganz weiße Gestalt. Sie winkte nur mit der Hand, dass die Frau zu ihr kommen sollte. Sie machte sich mit dem Tuch in der Hand langsam und vorsichtig auf den Rückweg. Aus der Nähe sah sie, dass es eine Frau war, die ganz weiß war. Nur ihre Augen waren schwarz und dunkel wie die Nacht selbst.
 
"Sie haben Glück, dass Sie auf einen guten Rat gehört haben. Wenn Sie mehr nehmen wollten, hätten die Teufel Sie zerrissen. Und wenn Sie nicht den ganzen Weg über die Straße gerannt wären, hätte ich Sie eingeholt und Sie hätten mein Schicksal ertragen müssen. Zum Trocknen der Wäsche für die Feen und den Geist der Berge beim Licht der Sterne. Weil du aber dem Rat derer gehorcht hast, zu denen du gebetet hast, sollst du Reichtum erlangen. Sehen Sie nur zu, dass Sie es für gute Dinge verwenden. Nun gib zurück, was dir nicht gehört." Mit diesen Worten deutete die weiße Dame auf die Stelle, an der die Wurzel, gegen die die Frau in ihrer Flucht das Tuch gerissen hatte, aus dem Boden ragte. Eine blaue Flamme wuchs aus dem Boden daneben. Die Frau untersuchte die Stelle sorgfältig, um sie wiederzufinden und reichte das Tuch der weißen Dame. Sie verschwand wie vom Winde verweht.
 
Die Frau eilte nach Hause in die Stadt, die langsam in den neuen Tag erwachte. Beim Frühstück erzählte sie ihrem Mann alles und wartete mit ihm die Nacht ab. Aber das Licht erschien nicht. Am nächsten Morgen gingen sie gemeinsam in den Wald am Silver Hill, um nach der Flamme zu suchen. Sie war im Sonnenlicht kaum zu erkennen. Der Mann wusste, dass die blaue Flamme die Orte der verborgenen Schätze markiert. Also untersuchte er die Flamme sorgfältig. Sie wurde weder heiß noch kühl, und wenn er seine Handfläche hineinlegte, glühte die Flamme darunter und darüber. Sie kehrten in die Stadt zurück und ließen sich die Urkunden für die Fälschung im Oberamt bestätigen. Alle im Büro lachten, weil alle den Ort verlassen hatten, ohne Geld zu verdienen. Doch das Lachen verging ihnen in dem Moment, als die angeheuerten Bergleute nach ein paar Schürfungen im Boden auf eine mächtige Ader aus reinem Silber stießen.
 
Die Ehemänner waren plötzlich reich, aber die Frau lebte und handelte nach den Wünschen der weißen Dame und nutzte ihren Reichtum nur, um Gutes zu tun. Es wird auch gesagt, dass die Weiße Dame bis heute ihre Wäsche auf dem Silver Hill trocknet. Doch ein Nachfolger ist noch nicht gefunden.